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Der Himmel über La Palma, von Klaus Fuhrmann


Im Bärenstrom


Nachdem wir im letzten Monat erfahren haben, daß alle Sterne eine individuelle Eigenbewegung besitzen, wird sich manch einer vielleicht gefragt haben, ob das auch irgendwelche Konsequenzen für die Sternbilder am Nachthimmel hat. Natürlich nicht in einigen wenigen Jahren, vielleicht auch nicht in 100 oder 1000 Jahren. Aber was geschieht in noch größeren Zeiträumen? Als die Sterne zu Sternbildern der Phantasie des Menschen entsprechend zusammengefügt wurden, hatte man natürlich nicht im leisesten eine Ahnung von dem, was man da eigentlich beobachtete. Vielleicht hatte der ein oder andere durchaus die Vorstellung, daß Sterne weit entfernte Sonnen sein mögen. Aber wie die Entfernung der einzelnen Sterne eines Sternbildes zueinander sein mochten wußte zu diesem Zeitpunkt niemand.

Tatsächlich ist es so, daß wir nur eine Projektion an den Nachthimmel beobachten. Das heißt, die Sterne eines Sternbildes stehen zwar scheinbar dicht beieinander, es fehlt aber die Information in die Tiefe des Raumes. Man kann es den Sternen eben nicht unmittelbar ansehen, ob sie nah oder weit entfernt von uns sind, da sie sowohl ein gewöhnlicher Stern wie die Sonne sein mögen, andererseits aber auch als Roter Riesenstern auftreten können. Wir wissen ja bereits, daß die Sonne auch einmal ein Roter Riese werden wird, daß diese Phase in ihrer Entwicklung aber auch nur relativ kurz ist. Mit anderen Worten, Rote Riesensterne sind extrem selten, und bilden nur eine geringe, wenige Prozent schwache, Fraktion unter den Sternen.

Untersuchen wir allerdings die hellen Sterne des Nachthimmels mit modernen Methoden, so stellen wir zunächst mit Erstaunen fest, daß doch sehr viele von ihnen tatsächlich als Rote Riesen identifiziert werden können. Der allnächtliche "Betrug" löst sich dadurch, daß den Riesensternen mit ihrer gewaltigen Leuchtkraft ein viel größeres Volumen zur Verfügung steht, um für uns gut sichtbar am Nachthimmel zu erscheinen. Die Roten Riesensterne drängen sich uns sozusagen auf. Wenn wir es hier nicht ohnehin schon mit Sternen zu tun hätten, könnte man auch sagen: die Riesen sind gewissermaßen die "Stars" der Sterne. Im Ergebnis führt das jedenfalls dazu, daß in vielen Sternbildern ein Gemisch von nahen, gewöhnlichen Sternen, sowie den meist viel weiter entfernten Riesensternen zum Einsatz kommt.

Im Allgemeinen ist es dann auch so, daß diese Sterne praktisch nichts miteinander zu tun haben, d.h. daß sie zumeist ein unterschiedliches Alter haben, aus unterschiedlichen Gaswolken geboren wurden und auch relativ unabhängig voneinander ihrer Wege ziehen. Was sie verbindet, ist lediglich unsere ganz spezifische Blickrichtung.

Das heißt dann aber nichts gutes, jedenfalls nicht, wenn Ihnen die Sternbilder ans Herz gewachsen sein sollten. Insbesondere den Freunden der Tierkreissternbilder und Horoskope muß klar sein, daß das eine gewisse "Bedrohung" darstellt. Man stelle sich vor: jemand ist "LÖWE", aber das entsprechende Tierkreissternbild gibt es irgendwann in der Zukunft nur noch in alten Büchern, nicht aber am Firmament zu bestaunen. Auf Grund ihrer hohen Eigenbewegung werden einige "Löwen"-Sterne ihr Sternbild nämlich irgendwann verlassen haben, während andere hinzukommen und so das Gesamtbild deutlich beeinflussen. Statt des majestätischen Löwen erhalten wir am Ende gar eine Konfiguration, die eher der einer Hyäne gleicht, und noch einmal 100000 Jahre später vielleicht der eines Stinktiers?
Möchten Sie auf die Frage, welches Sternbild Sie sind mit: "Ich bin ein Stinktier!" antworten?

Natürlich nicht. Aber möchten Sie dann stets sagen müssen: "Ja gewiss, es schaut jetzt wie ein Stinktier aus, aber auch das ist vergänglich, das ist nämlich eigentlich das Sternbild LÖWE, früher hat es jedenfalls auch so ausgeschaut." Mit der Vergänglichkeit des Stinktiers haben Sie dann natürlich Recht, aber andererseits wird der Ihnen vertraute Löwe auch so nie wieder an den Nachthimmel zurückkehren.

Die "LÖWEN" unter Ihnen werden dieses Beispiel vielleicht als etwas provokant empfinden. Aber wenn die Sternbilder sich in der Zukunft in ihrem Aussehen drastisch ändern, wozu brauchen wir sie dann? Als praktische Orientierungshilfe am Nachthimmel? Das kann man wohl durchaus akzeptieren, zumal sich die Veränderungen im Vergleich zu einem Menschenleben ja auch sehr, sehr langsam abspielen. Und sicher wird man wohl auch in Zukunft die gedachten Areale bzw. formalen Grenzen der Sternbilder am Himmel beibehalten. Die Längen- und Breitengrade - Rektaszension und Deklination, wie man sagt - werden dem Sternbild LÖWE also vermutlich erhalten bleiben. Und auch REGULUS, der hellste Stern dieses Sternbildes, wird wohl auch in Zukunft als "ALPHA LEONIS" (so sein lateinischer Name) durchgehen, auch wenn er sich schon längst inmitten eines anderen Sternbildes befinden sollte. (In nicht allzu ferner Zukunft übrigens dann als leuchtschwacher Weißer Zwerg. So hält sich der "Skandal" vielleicht auch in Grenzen.)

So gesehen wird man eventuell argumentieren wollen, daß die derzeit vorhandene Konstellation, die den Gesamteindruck eines Löwen ergibt, stets nur ein sekundäres Merkmal einer im Grunde viel tiefer gehenden Sache ist, usw., usw.

Ein "abstrakter Löwe" also? Aber das kann doch eigentlich nicht im Sinne des Erfinders gewesen sein. Ob Edmund Halley im Jahre 1718 schon klar war, was er da mit der Entdeckung der Eigenbewegung der Sterne den Freunden des Tierkreises im Grunde antun würde…

Nach soviel "Trübsal" nun aber doch zu etwas Erfreulichem, insbesondere dann, wenn ihre Heimat in etwas nördlicheren Breiten als La Palma liegt. Während wir hier nämlich vor allem den ORION und den SKORPION bestaunen dürfen, so ist es doch nach wie vor der GROSSE WAGEN der z.B. von Mitteleuropa aus einen markanten Eindruck am Nachthimmel hinterläßt.

Was hat es nun mit dem GROSSEN WAGEN auf sich? Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, blicken wir zunächst noch einmal für einen Augenblick an den Nachthimmel in Richtung des Sternbildes STIER, wo sich gerade jetzt im Herbst bereits in den Abendstunden die "Plejaden", die auch unter dem Namen "Siebengestirn" bekannt sind, in ihrer ganzen Pracht zeigen (siehe Abb. 1). Hier handelt es sich um einen etwa 100 Millionen Jahre alten Sternhaufen, was allerdings astronomisch gesehen eher recht kurz ist. Man spricht daher auch von einem jungen Sternhaufen.
Die Plejaden sind in der Tat so jung, daß viele ihrer Mitglieder bis heute noch gar nicht mit der Sternentstehung zum Ende gekommen sind. Da ist also noch alles in turbulenter Bewegung, und das zeigt sich auch an dem noch gut sichtbaren Gas, das von den hellsten Sternen in Abbildung 1 zum Vorschein gebracht wird.


La Palma Astrophysik von Klaus Fuhrmann


Abbildung 1: Die Plejaden, oder auch das "Siebengestirn". Dieser etwa 100 Millionen Jahre alte - und somit astronomisch recht junge - Sternhaufen, befindet sich in einer Entfernung von "nur" 400 Lichtjahren und ist daher auch schon mit bloßem Auge leicht zu beobachten. Daß hier noch alles in Bewegung ist und viele der masseärmeren Sterne sogar noch immer mit ihrer Geburt beschäftigt sind, zeigt sich auch unter anderem an dem hell leuchtenden Gas, den Resten der ursprünglichen Gaswolke aus dem sich dieser Sternhaufen formierte. (Aufnahme von Kurt Birkle und Eckhard Slawik, Calar Alto Observatorium, Andalusien)

Wie mag es wohl in einem solchen Sternhaufen ausschauen? Wäre es nicht vielleicht viel interessanter dort zu leben, als in der trostlosen Gegend in der wir uns mit der Sonne befinden? Etwa 400 Lichtjahre sind die Plejaden von uns entfernt, das heißt wir sehen ihr Licht, ausgesandt zu einem Zeitpunkt, als Europa gerade im 30jährigen Krieg versank. Da werden wir also nicht eben schnell vorbeischauen können, die Entfernungen sind einfach zu gewaltig.

Blicken wir aber noch einmal zum Sternbild STIER, so erkennen einen im Vergleich zu den Plejaden deutlich weniger kompakten, aber dennoch markanten Bereich von Sternen, der allgemein unter dem Namen "Hyaden" bekannt ist. Im Gegensatz zu den Plejaden sind die Hyaden bereits etwa 600 Millionen alt, und in diesem Alter nun bereit, "die Welt kennen zu lernen", d.h. die Hyaden sind als Sternhaufen derzeit im Begriff sich aufzulösen. Da sie darüber hinaus auch nur 150 Lichtjahre entfernt stehen, ergibt sich für uns auch ein vergrößerter Blickwinkel, was dann zu der insgesamt großräumigeren Struktur am Nachthimmel zusätzlich beiträgt.

Sehr vereinfacht gesprochen könnte man sagen, die Hyaden sind so die "gezoomten" Plejaden. Aber können wir nicht vielleicht einen noch näher liegenden Sternhaufen in der Milchstraße für uns ausfindig machen?

Das geht tatsächlich, und die dazugehörige Geschichte beginnt im Jahr 1869 und bringt uns nun auch wieder zurück zum GROSSEN WAGEN. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Messungen der Eigenbewegungen der Sterne bereits sehr weit fortgeschritten.
Weit über 100 Jahre waren vergangen, seit Halley seine ersten Beobachtungen publiziert hatte, und es lagen jetzt Sternkataloge mit sehr genauen Positionsmessungen vor, aus denen sich bereits winzige Verschiebungen vieler Sterne über Jahre und Jahrzehnte hinweg verfolgen ließen.

So fiel schließlich auch auf, daß fünf der sieben prominenten Sterne des GROSSEN WAGEN mit annähernd gleicher Eigenbewegung in dieselbe Himmelsrichtung strebten. Abbildung 2 zeigt diese Bewegung - die übrigens nur 0.1 Bogensekunde pro Jahr beträgt - in einer Momentaufnahme etwa 100000 Jahre in die Zukunft projiziert. Die weißen Punkte sind hier der uns vertraute heutige Anblick, die roten Punkte der GROSSE WAGEN in 100000 Jahren.


La Palma Astrophysik von Klaus Fuhrmann


Abbildung 2: Das Sternbild des "GROSSEN WAGEN". Die weißen Punkte geben die Positionen der hellen Sterne dieses Sternbildes, so wie sie derzeit am Nachthimmel zu erkennen sind. Die roten Punkte sind hingegen die Positionen dieser Sterne in etwa 100000 Jahren.
Man erkennt sehr gut, daß fünf der sieben Sterne praktisch in die gleiche Richtung laufen, zwei jedoch völlig entgegengesetzt. Dadurch knickt dem Großen Wagen sozusagen die Deichsel ein, und hinten verliert er seine Ladung. Er liefert somit zukünftig ein nicht mehr ganz so ansehnliches Bild, doch es mag vielleicht ein Trost sein, daß es den meisten anderen Sternbildern weitaus schlimmer ergehen wird.

Diese fünf Sterne des GROSSEN WAGEN standen also, wie nun klar wurde, nicht nur zufällig in derselben Richtung, sondern mußten auch ursächlich irgendwie zusammengehören. Richtig spannend wurde es dann im Jahre 1909, als weitere Mitglieder mit gleicher Eigenbewegung zu den Fünfen des GROSSEN WAGEN hinzustießen, obgleich sie am Himmel aus völlig anderen Richtungen kamen.
Da der uns wohl vertraute SIRIUS (siehe Jan-2006) auch dazu gehörte, erregte diese Entdeckung einiges Aufsehen, und man begann nun verstärkt, den gesamten Himmel nach weiteren Objekten gleicher Eigenbewegung abzusuchen.

Mit dieser Suche einhergehend verstärkte sich die Erkenntnis, daß wir uns mit unserem Sonnensystem inmitten dieses Stroms aus Sternen befinden, ohne jedoch selbst Teil zu sein. Es entbrannte ein Streit darüber, ob denn dieser Strom nun auch ein Sternhaufen, den Plejaden oder Hyaden gleich, oder doch nur eine eher lose Ansammlung von jungen Sternen darstellt.

Dieser Streit ist im Grunde bis heute nicht wirklich gelöst. Regelmäßig werden neue Mitglieder gefunden, und die Gesamtzahl der dazugehörenden Sterne dürfte in die Tausende gehen. Das sich abzeichnende Bild ist zudem auch deutlich komplizierter geworden. Es scheint wohl mehrere Stätten und auch mehrere Phasen der Sternentstehung gegeben zu haben, von denen die fünf bekannten Sterne des GROSSEN WAGEN nur eine darstellen. Einige Bereiche im Strom der jungen Sterne haben ein Alter von circa 200 Millionen Jahren, andere scheinen eher auf ein Alter von 500 Millionen Jahren hinzuweisen.

Es bleibt jedoch die Erkenntnis, daß wir uns keineswegs zu den Plejaden oder Hyaden aufmachen müssen, um am galaktischen Rummel teilzuhaben. Der Zufall will es, daß wir gerade mit unserer alten Sonne mitten durch eine solch junge Region laufen. Keine Sorge, wir werden nicht mit einem dieser Sterne zusammenstoßen, dafür sind die gegenseitigen Abstände dann doch zu groß. Doch ist es also hier bei uns keineswegs so trostlos, wie zunächst vermutet. Genießen wir daher die Fahrt und den Blick zu unseren Nachbarn am Firmament.

Ach ja, und warum heißt das ganze dann "Bärenstrom"? Die Erklärung ist einfach: der GROSSE WAGEN ist ja nur Teil des offiziellen und viel weiter reichenden Sternbildes "GROSSER BÄR". Und außerdem: große "Wagenströme" gibt es ja auch schon hinreichend auf unseren Straßen.


Familie Ellen & Simon Märkle

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